Gieraffe Jono bringt die Natur durcheinander

Seit einiger Zeit habe ich wieder an einer Kindergeschichte gearbeitet, aus der eine Umweltgeschichte für Kinder geworden ist. Erst sollte die Hauptfigur eine Giraffe sein, doch dann hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, dass es doch besser wäre, wenn es ein Gieraffe ist, der die Natur um sich herum aus dem Gleichgewicht bringt. Nun ist die Erzählung fertig und hier präsentiere ich das Ergebnis. Viel Freude also mit dem kleinen Gieraffen Jono!

Ganz früh am Morgen erwacht der kleine Gieraffe Jono auf seinem Lieblingsbaum im afrikanischen Regenwald. Auch heute ist er wieder wissbegierig und voller Energie. Nur noch ein bisschen wacher werden und schon klettert er behände bis in die höchsten Wipfel hinauf, wo ihn die Sonne mit ihren warmen Strahlen übers Fell streichelt. Von hier aus schaut er in jede Richtung und erblickt die bis zum Horizont reichenden immergrünen Baumkronen.

Kurz überlegt er, wen von den Tieren er heute Löcher in den Bauch fragen kann oder an welchem Ort er heute spielen soll und welches Abenteuer er erleben wird. Sein knurrender Bauch erinnert ihn allerdings daran, bei seiner Meerkatzenmama einige Nüsse und Früchte zu stibitzen bevor es auf den Streifzug durch den Wald geht.

Rasch schwingt er sich hinunter in die unteren Bereiche der Bäume und findet seine Mama auch gleich auf einem dicken Ast sitzend. „Guten Morgen, mein Kleiner! Hast du gut geschlafen?“, fragt sie als er sich zur Begrüßung an sie kuschelt. „Ja, sehr gut sogar. Welche Nüsse hast du für mich heute zum Essen?“

„Oh! Die magst du sehr gerne!“, antwortet seine Mama und hält ihm einige Macadamianüsse unter die Nase. „Mmh, lecker!“, meint Jono und verputzt sie alle auf einmal. Kaum ist er fertig, springt er auch schon davon. Seine Mama ruft noch hinter ihm her: „Ärgere die anderen Tiere nicht zu sehr und halte dich von den Jägern fern!“ Die Worte klingen Jono in den Ohren nach, doch er hat den Kopf voller Ideen, was er machen möchte.

Zuerst besucht er das Streifenhörnchen Flips, der gerade sehr geschäftig zwischen einem Haufen Nüsse unter einer großen Baumwurzel und seiner Höhle in der Nähe eines Baches hin- und herläuft. „Was machst du da mit den Nüssen?“, will der kleine Meerkatzenmann wissen. „Alles meine Nüsse! Ich bringe sie woanders hin, damit mir die anderen Tiere sie nicht wieder mopsen können! Die bekommen meine gesammelten Nüsse nicht mehr!“, ruft ihm Flips ganz aufgebracht zu. „Aber, warum bist du so aufgeregt, es nimmt sich doch gerade keiner was von deinen Nüssen!“, erwidert Jono. „Doch, die kommen immer dann, wenn ich mein Mittagsnickerchen halte. Dann lassen sie keine einzige Nuss übrig und ich muss am Nachmittag wieder welche suchen, damit ich auch für morgen, etwas zu futtern habe.“, jammert Flips. „Ich habe keine Zeit mehr mit dir zu reden!“ Und schon verschwindet das Streifenhörnchen in seiner Höhle. Jono findet interessant, was er gehört hat und zieht weiter.

Kurz darauf begegnet er an einem ausgetretenen Pfad dem Okapi Sindo, der Blätter von den Bäumen zupft und sich schmecken lässt. Ein wenig hinter ihm befindet sich eine kleine Okapidame, die leider nicht bis an die höher wachsenden Blätter heranreicht. „Teilst du deine Nahrung nicht?“, fragt Jono Sindo. Der dreht ihm den Kopf zu und meint: „Ich teile nicht gern mein Essen mit anderen!“

Er lässt sich nicht weiter stören und frisst weiter. Jono denkt sich, dass er etwas weiter vorne am Weg, einfach etwas Nahrung pflücken kann, um es der Oikapidame zu geben. Gesagt getan. Jono springt von Baum zu Baum und pflückt schließlich an einem jungen Baum die frischen Triebe. Als er eine ausreichende Menge beisammen hat, bringt er es der Okapidame. „Hier bitte!“, spricht er sie an. Diese verzieht aber das Gesicht. „Davon bekomme ich Blähungen!“, meint sie ganz herablassend und geht mit erhobenem Kopf an ihm vorbei. Jono denkt sich nichts dabei und lässt die Nahrung auf den feuchten Boden fallen.

Da ihm gerade danach ist irgendwo zu spielen, klettert er einen Baum empor und schwingt sich von Ast zu Ast bis zu einer Lichtung, auf der er gern und viel Zeit verbringt. Hier trifft er auf das Riesenwaldschwein Pinsel, der gerade dabei war, an einem Baumstamm eine Portion Schlamm von seinem Körper zu schrubbeln. „Hey, Pinsel, wollen wir miteinander spielen?“

„Morgen, Jono. Klar, doch! Lass uns Verstecken spielen. Du zählst bis 10 und suchst dann nach mir!“, schlägt Pinsel vor. Jono hält sich die Hände vors Affengesicht und beginnt zu zählen. Pinsel verkriecht sich in dem Schlammloch beim Teich. Die Meerkatze weiß, dass Jono gute Geheimverstecke kennt, wie hinter einer Baumgruppe oder unter einem umgestürzten ausgehöhlten Baum oder in einem großen Busch. Dort schaut er überall nach, doch er findet ihn einfach nicht. Bei seiner Suche nach ihm entdeckt er einige kleine Steine und hat eine Idee. Er nimmt sich eine gute Handvoll und fängt an, diese von einem Baum aus um sich zu werfen. Dabei trifft er nicht nur eine Eidechse, die schimpfend unter ihm vorbeiflitzt, sondern auch einen Nashornvogel am Schnabel und einen Graupapagei auf dem Kopf. Beide wären beinahe ineinander geflogen und krächzen: „Pass doch auf! Du kannst mit deinem Rumgeschmeiße noch ernsthaft jemanden verletzen!“ Jono macht ohne aufzuhören einfach weiter und scheucht die Fische im Teich auf, von denen einer kurz auf dem Ufer landet, aber glücklicherweise durch seine Zappelei ins Wasser zurückgelangt. Dann erwischt er Pinsel, der vor Schmerz aus seinem Schlammloch stürzt. Reichlich Schlamm landet im Teich. „Au, das tut doch ganz schön weh! Hör auf damit!“

Jono hält inne und lässt den Rest der Steinchen nach unten fallen. „Sag mal Pinsel, wenn du so viel Schlamm auf deinem Körper hast, dann lass und doch die Bäume damit anmalen!“ Pinsel ist begeistert, denn wenn der trocknet, bekommt er sich nur schwer wieder sauber. Nach einiger Zeit sind fast alle Bäume auf der Lichtung vom Wurzelansatz bis zu den ersten Ästen mit der braunen klebrigen Masse angemalt. Einige Käfer kommen nun gar nicht mehr an den Stämmen hinauf. Völlig verschmiert sind sie damit beschäftigt, sich erst einmal zu putzen, anstatt auf Nahrungssuche gehen zu können.

„Pinsel! Pinsel!“, ruft da von Weitem die Schweinmama. „Mach’s gut, Jono!“, verabschiedet sich Pinsel und läuft von der Lichtung. Jono ist jetzt langweilig, doch schon nach kurzem Überlegen pflückt er alle Blumenköpfe von den Blumen, die auf der Lichtung stehen. Er sortiert sie nach Farben und lässt sie achtlos liegen. Dann will er ganz viele Nüsse zusammensuchen, um sie zu einem Vorrat anzulegen. Also pflückt er jede Nuss, die er finden kann. Zwischendurch lässt er die eine oder andere Nuss in seinem Bäuchlein verschwinden. Nach einigen Stunden hat er in einer Baumhöhle etwas abseits, aber in Sichtweite seines Lieblingsbaumes einen unglaublich großen Haufen zusammengetragen.

Langsam wird es Abend und die Sonne beginnt sich hinter dem Horizont schlafen zu legen. Zwischen den Bäumen hindurch entdeckt Jono plötzlich ein winziges Licht. Da es noch etwas Zeit bis zum Schlafengehen ist, beschließt er das Licht zu erforschen. Er nähert sich ihm über die Bäume hinweg, bis er es ganz vor sich hat. Beim Näherkommen merkt er, dass es knistert, wärmer wird und ausreichend Licht verbreitet. Eine Weile beobachtet er es, läuft darum herum und stolpert schließlich über einen Ast, der in das Licht hineinragt. Der Ast dreht sich dabei ein wenig zu Seite und nimmt etwas von dem Licht mit sich. Jono greift sich den Ast, um ihn in die Höhe zu halten und erkennt, dass es sich um Feuer handeln muss. ‚Schön, jetzt habe ich endlich ein Licht im Dunkeln!‘, schießt es ihm durch den Kopf.

Mittlerweile ist es so dunkel geworden, dass er nicht so einfach wieder zu seinem Schlafbaum findet, doch mit dem kleinen Feuer gelingt es ihm zur Baumwurzel mit dem Nussversteck zu kommen. Hier steckt er den Ast fest. Er erkennt nun seinen Schlafplatz, schwingt sich hinauf und schläft ganz erschöpft in einer Astgabel ein.

Am nächsten Morgen steigt Jono noch bevor er die Augen öffnet ein eigenartiger Geruch in die Nase. Es wird auch immer lauter unter seinem Lieblingsbaum. Er reibt sich die Augen und blickt hinunter. Zahlreiche Tiere unten am Boden bei seinem Baum und bei der nun schwarzen Baumwurzel schimpfen durcheinander, keiner ist zu verstehen. Jono’s Mama springt nun hinzu, um alle zu beruhigen. Als es still genug ist, darf einer nach dem anderen sein Anliegen vortragen.

Einige Streifenhörnchen und Kapzuineraffen haben Hunger und finden an diesem Morgen einfach keine Nüsse. Ein Affe meint, dass er Jono am Vortag gesehen habe, wie er unzählige Nüsse unter die verkohlte Baumwurzel gestopft hatte. Die vielen Käfer von der Lichtung mit dem Schlammloch beschweren sich über Jono, da er alle Bäume beschmiert hat, so dass sie nicht mehr in ihr Zuhause hinaufkommen. Aus dem Wasserloch kann man eine ganze Weile nicht mehr trinken, maulen die Schweine. Keine einzige Blume findet sich mehr für die Bienen, die ihre hungrigen Larvenkinder versorgen müssen. Und die Okapis legen vor Jono’s Mutter die vergammelten Triebe des jungen Baumes nieder.

Die Meerkatzenmama blickt traurig hinauf zu Jono. „Bitte komm herunter, wir alle müssen mit dir reden!“, ruft sie schließlich zu ihm hinauf. Mit einem ganz flauen Gefühl im Bauch kommt der Gieraffe zu ihr und den anderen Tieren hinunter. „Ich glaube, du solltest dich erst einmal bei allen für das, was du in der Natur durcheinandergebracht hast, entschuldigen!“, meint sie zu ihm. Jono blickt betreten zu den Tieren. Etwas leise sagt er: „Entschuldigt bitte, es war nicht in Ordnung, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, was ich anrichte. Es tut mir leid! Ich werde helfen, den angerichteten Schaden wieder zu richten.“

„Schön, dass du einsichtig bist!“, ergreift Sindo das Wort. „Doch ich denke, einige von uns haben da unseren Anteil, dass wir nicht immer so handeln wie es angemessen für den Wald und seine Bewohner ist. Das gilt auch für mich! Ich schlage vor, dass wir Tiere gemeinsam Jono beistehen, die rechte Ordnung in unserer Umwelt wieder herzustellen!“ Die Tiere jubeln vor Freude und machen sich auch sofort daran sich gegenseitig zu unterstützen, damit die Natur nicht wieder aus dem Gleichgewicht gerät. Alle packen tatkräftig mit an, so dass sich zum Ende des Tages jeder zufrieden schlafen legen kann. Jeder kann wieder so leben, wie es die Natur vorgesehen hat.