Merte Adam‘s Welt des Schreibens

Teil 1: Tagebuch, Notizbuch oder unerschöpfliches Reservoir für Geschichten?

Die Autorin Merte Adam hat eine ganz spezielle Herangehensweise für die Entstehung Ihrer Geschichten mithilfe von Notizbüchern über die Jahre entwickelt. Sie sammelt in ihnen nicht nur Ideen für ihre kurzen Erzählungen, sondern sie schöpft aus vielen alten und neuen Notizen, um tolle eigene literarische Kreationen hervorzubringen, die die Leser verblüffen und zum Lachen bringen. Gern war sie für diese mehrteilige Gastbeitragsreihe bereit ihr Wissen mit anderen zu teilen. Vielleicht mag der eine oder andere sich die passende Schreibhilfe heraussuchen, um selbst gute Geschichten zu schreiben.

Noch eines vorneweg, was der Autorin wirklich am Herzen liegt: Sie möchte mit den genannten Firmennamen keine Werbung machen und weist darauf hin, dass alle zum Schreiben verwendeten Materialien von ihr selbst gekauft wurden. Lest aber nun selbst, was euch Merte für Erfahrungen mitgibt.

Gastbeitrag von Merte Adam

Wer schreibt, macht sich Notizen. Und jeder hat seine eigene Art es zu notieren. Manche sitzen täglich eine bestimmte Zeit am PC, andere schreiben nur von Hand auf Papier.
Ich möchte hier von meiner eigenen Arbeitsweise erzählen.
Ich schreibe viel unterwegs und notiere, was ich beobachte: Menschen, Landschaften, was um mich herum passiert, in Öffentlichen Verkehrsmitteln, ich nutze Wartezeiten im Bahnhof, bei Ärzten, im Urlaub, wenn ich im Café oder in einem Laden sitze.
Ich stelle mir die Fragen: Woher kommen diese Menschen, was haben sie gerade erlebt? Oder wohin sind sie auf dem Weg? Sind sie voller Freude, Sorge, gelangweilt, …? Warum verhalten sie sich so, wie ich es gerade beobachte? Wenn sich zwei oder drei Leute unterhalten, ohne dass ich die Worte verstehen kann: Was ist ihr Thema, streiten sie, flirten sie, …?
Auch wenn meine Gedanken rein fiktiv sind, so bekommt man im Laufe der Zeit ein Gefühl dafür, was da läuft. Ist jemand erschöpft von einem langen Arbeitstag oder energiegeladen und aufgedreht, weil jemand nicht ausgelastet ist. Legt jemand Wert auf eine individuelle, vielleicht provozierende Erscheinung oder will jemand gerne unsichtbar, unbemerkt bleiben. Es gibt viele Schattierungen zwischen diesen Polen. Und viele Details, an denen das eindeutig ablesbar ist: Kleidung, Frisur, Make-up, Stimme, Bewegungen, Verhalten usw.
Ich notiere mir diese Details, die Äußerlichkeiten, die Auffälligkeiten oder eben die Unauffälligkeiten. So lernt man schnell und treffsicher Menschen und Situationen zu skizzieren, das ist das Rohmaterial für Geschichten.

Ein Beispiel aus einem meiner Notizbücher:
Ein Wintertag, Glatteisgefahr, in der U-Bahn beobachte ich eine Frau, die über ihre Schuhe mehrere Einweckgummis gezogen hat. Das könnte auf Armut hindeuten oder die Person möchte ihre Kreativität oder ihre Individualität zur Schau stellen. Was es genau ist, kommt auf die Person an und auf viele weitere Details.

Im Laufe der Zeit lernt man, seinen Lesern den Charakter der eigenen Protagonisten anhand solch subtiler Hinweise zu zeigen. Man schreibt nicht mehr: „Frau X lebte in ärmlichen Verhältnissen.“ oder „Das Mädchen war heute wieder einmal auf Krawall gebürstet.“
Man zeigt dem Leser diese Tatsache anhand solcher Details und die Protagonistin bleibt auf diese Weise viel nachdrücklicher als Bild im Gedächtnis.

Meine Anfänge:
Anfangs habe ich so ziemlich alles beschrieben, was ich in meiner Tasche fand. Auch die Ränder von Sudokus und Zeitschriften.
Dann verarbeitete ich nach und nach die noch unbenutzten Schulhefte meiner Kinder. Ich ließ mich von Billigangeboten beim Discounter verlocken. Doch das schlechte Papier riss oft aus, die Tinte schlug auf die Rückseite durch und Seiten gingen verloren. Es dauerte, bis ich mein Schreiben selbst so wertschätzte, dass ich mir Notizbücher guter Qualität mit dem entsprechenden Preis gönnte.

Bevorzugte Formate und Bindungen:
Am besten geeignet für mich als Notizbuch fand ich im Laufe der Jahre das Format DIN A5 und DIN A6. DIN A5, weil es in jede Handtasche passt und DIN A6 geht in jede Hosentasche für unterwegs. Am liebsten verwende ich Softcover wegen des Gewichts und Fadenbindung wegen der Haltbarkeit. Bei spiralgebundenen und geklebten Büchern gingen mir immer wieder Seiten verloren.

Meine verwendeten Notizbücher:
Über die Jahre habe ich viel ausprobiert. Unter meinen Notizbüchern waren unbekannte wie namhafte Hersteller, die unterschiedliche Qualitäten aufwiesen.
Mit Moleskine war ich nicht zufrieden. Die Papierqualität war sehr unterschiedlich. Ich schreibe mit Füller und Tinte und bei 30 bis 50 % der Notizbücher schlug die Schrift auf die Rückseite der Blätter durch, was für mich sehr ärgerlich war.
Auf Nachfrage beim Verkäufer erhielt ich die Antwort, Moleskine ließe mittlerweile wegen des günstigeren Preises in China fertigen und dort verwende man eben immer das billigste Papier, das gerade auf dem Weltmarkt erhältlich sei. Deshalb sei auch jede Charge anders.
Die Notizbücher von Clairefontaine verwendete ich viele Jahre. Das Papier hat eine ausgezeichnete, gleichbleibend hohe Qualität. Auch Leuchtturm verwendete ich mehrere Jahre und war sehr zufrieden damit.
Seit einigen Jahren bin ich bei CEDON hängengeblieben. Wegen des Gewichts verwende ich Softcover. Diese Notizbücher haben 96 Blatt und die Papierqualität ist gleichbleibend hoch in weiß oder elfenbein. Das Papiergewicht von 80 g/qm finde ich auch am angenehmsten zum Arbeiten.
Inzwischen arbeite ich am liebsten auf punktkariertem Papier. Diesen Aspekt beschreibe ich weiter unten noch genauer.
Ich kaufe die Bücher meistens im Dutzend, denn mittlerweile schätze ich es sehr, immer die gleichen Notizbücher zu verwenden.
Schreiben ist ein Zusammenspiel von Papier, Füller, Feder und Tinte. Verschiedene Hersteller nutzen unterschiedliche Papierqualitäten, so dass ich bei einem Wechsel die ersten Seiten erst testen muss: mit welchem Füller, welcher Feder und welcher Tinte habe ich das beste Ergebnis. Diese Experimente brauchen Zeit, die ich nicht immer habe. Deshalb bleibe ich gerne bei meiner bewährten Kombination.

Meine persönliche Lineatur:
Da immer wieder Zeichnungen in meinen Notizbüchern landeten, schrieb ich lange Jahre auf Blankopapier. Schließlich wechselte ich zu liniert, dann zu kariert. Heute habe ich am liebsten punktkariert. Wobei der Umstieg auf punktkariert nicht so einfach war. Ich schreibe an allen möglichen Orten. Die Lichtqualität ist nicht immer ausreichend gut, um die hellgrauen Punkte gut zu erkennen. Doch wenn man längere Zeit damit schreibt, hat man den Zeilenabstand irgendwann sozusagen „im Handgelenk“.

Mein Notizbuchsystem:
Ich habe mir mit der Zeit ein System mit drei Notizbüchern angewöhnt.

Das Schmier- oder Sudelbuch:
Meine Schmierbücher haben die Größe DIN A5, sind meistens kariert und meistens mit Spiralbindung. Hier verschreibe ich auch immer noch alte Schulhefte meiner Kinder und geschenkte Notizbücher.
Interessant ist, dass DIN A5 nicht immer DIN A5 ist. Jede Firma hat da ihre ganz eigenen Formatgrößen, die an DIN A5 in etwa heranreichen, manchmal kleiner oder größer sind. Meine Schmierbücher nummeriere ich ebenfalls, aber sie haben, anders als die „guten Notizbücher“, zu denen ich später noch komme, eine eigene Nummerierung.
In meinen Schmierbüchern notiere ich alles, was mir unterwegs über den Weg läuft, angefangen von merkwürdigen Straßennamen, über gesammelte Protagonisten, Ideen für Handlungsstränge, interessante Vor- und Nachnamen, Firmennamen, Skizzen von Gebäuden oder deren Grundrissen, bis zu Eintrittskarten, Postkarten, Karten von Städten, Skizzen von Werbung etc.
Aber auch alles, was ich auf keinen Fall vergessen darf, wie Aufträge für Recherchen, Ideen für Änderungen an fertigen Texten, Skizzen für Handlungsverläufe oder Analysen von Büchern, Filmen usw.
Gelegentlich landet da auch schon mal ein Strickmuster oder Kochrezept.
Alles was im weitesten Sinne zum Gebiet Schreiben gehört landet hier. Hier steht alles chaotisch durcheinander, wie es mir Tag für Tag begegnet.

Das „gute Notizbuch“:

Hier findet sich das „Rohmaterial“ aus den Schmierbüchern gründlich bearbeitet, ergänzt und geordnet in folgender Art und Weise: Fließtext auf der rechten Seite, auf der linken Seite bleibt Platz für Skizzen, Listen (z. B. Namen von Protagonisten, Charakterstudien, Beschreibungen von Schauplätzen, Skizzen für Dialoge und Szenen und vieles andere mehr), auch die Ergebnisse von Recherchen oder dergleichen. Also das gesamte Ideenmaterial zusammengetragen für die geplanten Geschichten, bereits in Form gebracht, wie ich es dann in den Texten verwende.

Im Schmierbuch streiche ich die übertragenen Punkte. Blätter bei denen alle Eintragungen abgearbeitet sind, reiße ich raus. Dadurch werden die Schmierbücher immer dünner und sind irgendwann vollständig erledigt.
Für die „guten Notizbücher“ habe ich aus dem Rest einer Wachstuchtischdecke strapazierfähige Umschläge genäht. Beim Sudelbuch macht das wegen der wechselnden Formate keinen Sinn.

Das kleine Notizbuch, A6:

Für unterwegs eignet sich ein Notizbuch im Postkartenformat für die Hosentasche. Manchmal reicht einfach der Platz nicht, um das ganze Schreibzeug mitzunehmen, z. B. auf dem Hundespaziergang.

Die sichere Verwahrung meiner Notizbücher:
Egal, ob wir diese Bücher als reine Tagebücher nutzen oder als eine Art „Steinbruch“ für unsere Geschichten, für mich ist es wichtig, sie so zu verwahren, dass kein Unbefugter sie lesen kann.
Die aktuellen Schreibbücher trage ich immer bei mir, egal wo ich unterwegs bin.
Dafür habe ich mir einen Stoffbeutel aus festem Stoff genäht. Er hat genug Platz für die drei Notizbücher plus die Stifte, ein flexibles Lineal, Radiergummi und einen Spitzer.So sind alle Sachen an einem Platz und wenn ich die Tasche wechsle, zieht nur der Beutel um.
Die vollgeschriebenen Notizbücher nummeriere ich am oberen Schnitt und verwahre sie anschließend aufrechtstehend in Kartons. Sie sind bewusst völlig unauffällig gestaltet. In diesen Kartons war Kopierpapier. Ich beklebe sie mit Geschenkpapier oder alten Kalenderblättern und es passen, je nach Größe 20 bis 25 Notizbücher rein.

Die „wilden Notizbücher“ sind die, die ich am Anfang vollgeschrieben habe, alle Formate quer durcheinander. Da jeder Hersteller sein DIN A5 anders definiert, wie schon beschrieben, ist es ein buntes Sammelsurium.

Die „gezähmten Notizbücher“ kamen, als ich immer einen ganzen Stapel von einem Hersteller kaufte. Weiter oben Clairefontaine, unten CEDON, dazwischen ein paar Geschenkte.

Die kleinen Notizbücher für die Hosentasche, also DIN A6. Niemand außer mir kennt den genauen Ort des Kartons.

Vielen lieben Dank an dich Merte für die ausführlichen Informationen deiner bevorzugten Notizbücher und wie du diese für dein Schreiben verwendest! Wenn ihr mehr zu Merte’s Schreibmaterialien erfahren wollt, dann lest unbedingt im nächsten Monat Teil 2 von Merte Adam’s Welt des Schreibens.

Quelle des Bildmaterials: Merte Adam